Psychogene nichtepileptische Anfälle (PNEA) ähneln in ihrer Symptomatik epileptischen Anfällen. Sie werden nicht zuletzt deshalb oft sehr verzögert nach ihrer Manifestation diagnostiziert und therapiert. Häufige Fehldiagnosen bringen es mit sich, dass die Patienten lange mit Antiepileptika behandelt werden. In Kenntnis um die Symptome von PNEA sollte es möglich sein, die korrekte Diagnose rasch zu stellen.
Areaktives Verharren, Dauer von mehr als zehn Minuten, irreguläre Extremitätenbewegungen, geschlossene Augen und Neigung zu Statusmanifestation sind wichtige klinische Hinweise. Eine detaillierte iktuale Anfallsdokumentation begründet den Verdacht auf PNEA. In Zweifelsfällen sollte eine Anfallsaufzeichnung mit Video (und EEG) erwogen werden.
PNEA werden den dissoziativen oder somatoformen Störungen zugerechnet. In den meisten Fällen werden sie als unbewusste Manifestationen psychischer Störungen angesehen. Patienten mit PNEA leiden häufig an Depression, einer posttraumatischen Belastungsstörung, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen. Auch zusätzliche organische Hirnfunktionsstörungen werden in einigen Fällen diagnostiziert. Bei chronischen Verläufen ist die Behandlungs- und Sozialprognose ungünstig. Eine frühe Diagnose und der Beginn einer stringenten psychologischen Behandlung könnten die Prognose verbessern.
Das theoretische Wissen um und zu psychogenen nichtepileptischen Anfällen (PNEA) ist umfangreich und wurde bereits seit der Frühphase der Psychoanalyse ätiologischen Analysen unterzogen. Merkwürdig diskrepant hierzu ist allerdings die auch heutzutage fehlende sichere und zeitnahe Diagnose dieser Störung, mit der sich die Patienten nicht allein bei einem Neurologen oder Psychiater vorstellen.
Zu einer häufigen und schwer zu korrigierenden Fehldiagnose kann es kommen, wenn Anfälle als epileptische Erkrankung fehlgedeutet werden, obwohl man sich der Somatisierungstendenz vieler Patienten bewusst ist. PNEA repräsentieren aber eine mit erheblichen gesundheitlichen sozialen Konsequenzen und gesellschaftlichen Kosten verbundene Erkrankung, die der angemessenen Diagnose und konsequenten Therapie bedarf. Möglicherweise ist die schwierige Behandelbarkeit auch ein Kofaktor dafür, im Zweifel der Epilepsiediagnose zuzusprechen und die scheinbar einfache Verordnung eines Antiepileptikums als Therapie zu wählen. Die Autoren können keine einfache Lösung der Behandlung dieser Erkrankung präsentieren, doch entlässt dies den Arzt nicht aus der Verantwortung um eine korrekte Diagnose.
Kennt man die Kernsymptome der PNEA und hat man gar solche Anfälle in einer Videoaufzeichnung gesehen (Gelegenheit hierzu bieten vielfältige Fortbildungsveranstaltungen), dann sollte in den meisten Fällen die Diagnose, zumindest aber die Verdachtsdiagnose, gestellt werden können. Dennoch dauert es in Deutschland gegenwärtig von der Erstmanifestation bis zur korrekten Diagnose von PNEA im Mittel mehr als sieben Jahre, und drei Viertel aller Patienten mit PNEA werden zunächst mit Antikonvulsiva behandelt.
Werden Anfälle geschildert oder führen sie zur Untersuchung, sollte die Diagnose von PNEA stets erwogen werden. Dies bedarf der Abgrenzung insbesondere zu epileptischen Anfällen und Synkopen. PNEA sind anfallsartige Ereignisse, bei denen Bewegungen, Empfindungen oder Zustände auftreten, die epileptischen Anfällen ähneln, jedoch durch psychische Prozesse und nicht durch epileptische neuronale Störungen verursacht werden.
Mit dem Etablieren der synchronen Dokumentation von Patientenverhalten und Elektroenzephalogramm (Video-EEG) in den 1970er Jahren wurde die Analyse der Bewegungsmuster gerade im Vergleich zu epileptischen Anfällen deutlich erweitert.
Bei mehr als 90 Prozent von PNEA ist das Bewusstsein der Patienten eingeschränkt. Im Gegensatz zum Bewusstseinsverlust bei komplex partiellen oder generalisierten epileptischen Anfällen sind Patienten iktuale Erlebnisse aber unter Hypnose oft erinnerlich. Die Semiologie von psychogenen nichtepileptischen Anfällen ist ebenso vielfältig wie diejenige epileptischer Anfälle. Am häufigsten manifestieren sich PNEA als Anfälle mit Sturz, Versteifen oder Überstrecken des Rumpfes, Kopfschütteln und ausschlagenden Bewegungen der Extremitäten.
Nicht selten werden auch Anfälle mit Tonisierung von Rumpf und Gliedmaßen mit oder ohne Zittern verzeichnet. Des Weiteren werden atonische Zustände mit und ohne Sturz beobachtet. Seltener kommt
es zu rein subjektiv empfundenen und geschilderten PNEA, die semiologisch epileptischen einfach partiellen Anfällen ähneln.
Leider ist kein Symptom für die Diagnose von PNEA pathognomonisch, doch bilden Symptomkonstellationen einen Wahrscheinlichkeitsraum, der die (Verdachts-)Diagnose nahe legt. Maßgeblich ist die exakte Anamnese und Fremdanamnese sowie die genaue Beobachtung des Anfalls, soweit möglich. Areaktives Verharren, Dauer von mehr als 10 Minuten Länge, irreguläre Extremitätenbewegungen, geschlossene Augen und Neigung zur Statusmanifestation sind besonders wichtige klinische Hinweise auf PNEA.
Bei der Interpretation von Eigen- und Fremdanamnese ist zu bedenken, dass wichtige semiologische Einzelheiten oft falsch erinnert werden. Die Anfallsdauer wird von Beobachtern oder Patienten
häufig als zu lange eingeschätzt. Darüber hinaus ist durch Studien belegt, dass durch die Angabe von scheinbar klar für eine epileptische Genese sprechenden Fakten wie iktualem Harn- oder
Stuhlabgang, Verletzungen, Zungenbiss oder die Angabe nächtlicher Anfälle nicht sicher diskriminativ zwischen PNEA und epileptischen Anfällen unterschieden werden kann.
Die differenzialdiagnostische Entscheidung ist einfacher, wenn der Patient direkt während eines Anfalls beobachtet und untersucht werden kann. Bei der Beobachtung ist besonders auf die Länge
konvulsiver Phasen (diese dauern selbst im Status epilepticus nicht länger als zwei Minuten), das Vorliegen von Zyanose und die Augen zu achten (bei PNEA zumeist geschlossen, bei epileptischen
Anfällen meistens offen). Bei der Untersuchung hilft die Auslösung des Pupillenlichtreflexes (bei PNEA erhalten, bei epileptischen Anfällen oft nicht), die Prüfung der Reaktion auf noxische
Stimulation (zum Beispiel Kitzeln der Nase oder Wimpern) oder das Fallenlassen der Hand des Patienten über seinem Kopf (manche Patienten ziehen die Hand weg um ein Aufschlagen der Hand auf dem
Kopf zu vermeiden).
Der durch Anamnese oder klinische Beobachtung begründete Verdacht, dass PNEA und nicht epileptische Anfälle vorliegen, ist bei erfahrenen Untersuchern von großer Relevanz. Dennoch, für eine
sichere Diagnose entscheidend ist die apparative Dokumentation typischer Anfälle. Gelegentlich kann die Aufzeichnung eines Anfalls mit einer Heimvideo- oder Fotokamera weiterhelfen. Nicht selten
treten PNEA während einer elektroenzephalographischen (EEG) Routineuntersuchung auf, insbesondere wenn Fotostimulation und Hyperventilation mit Suggestion verbunden werden.
Im Allgemeinen ist jedoch aufgrund der Bedeutung einer eindeutigen Diagnose für die weitere Behandlung die simultane Aufzeichnung von iktualem EEG und Patientenverhalten zu empfehlen. Wenn
während einer kurzfristigen (Video-) EEG-Untersuchung kein Anfall auftrat, kann eine längere Video-EEG-Beobachtung oder eine Anfallsprovokation mit Placebo weiterhelfen. Durch Injektion von
isotoner Kochsalzlösung, angekündigt als prokonvulsive Substanz, können bei mehr als drei Viertel der PNEA-Patienten typische Anfälle ausgelöst werden.
Zum einen ermöglicht die Video-EEG-Aufzeichnung typischer Anfälle ihre eindeutige Charakterisierung als psychogen. Zum anderen können durch Video-EEG motorisch sehr ausgestaltete und bei
erhaltenem Bewusstsein ablaufende Anfälle epileptischen Ursprungs (frontale hypermotorische Anfälle) erkannt werden, die fälschlicherweise für psychogen gehalten werden könnten. Im klinischen
Alltag ist die fehlerhafte umgekehrte Einschätzung jedoch wesentlich häufiger.
Labortechnisch kann bei der Unterscheidung von epileptischen Anfällen und PNEA das Bestimmen von Prolaktin und Cortisol im Blutserum, 15 bis 20 Minuten nach dem Anfall venös entnommen, hilfreich
sein. Dabei ist ein Hormonanstieg auf das Drei- bis Fünffache des Basalwertes ein verlässlicher Hinweis auf einen stattgehabten epileptischen Anfall, wohingegen das Fehlen eines Anstiegs nicht
unbedingt bedeutet, dass es sich bei dem Anfallsereignis um einen PNEA gehandelt hat, da ein Hormonanstieg bei zwei Drittel der epileptischen Anfälle ausbleibt. Wurde postiktal eine
Prolaktinerhöhung über den normalen Referenzbereich des untersuchenden Labors festgestellt, sollte eine Kontrolluntersuchung frühestens zwei Stunden nach dem Anfall veranlasst werden um
sicherzustellen, dass keine chronische Prolaktinerhöhung vorliegt.
Das interiktuale EEG, bildgebende Verfahren wie die kraniale Kernspintomographie oder eine neuropsychologische Testung können nur einen begrenzten Beitrag zur differenzialdiagnostischen
Einordnung von Anfallszuständen leisten. Bei Patienten mit Epilepsie erbringen diese Untersuchungen häufig einen normalen Befund, wohingegen sich bei Patienten mit PNEA durchaus Veränderungen
darstellen können, wie sich bei mindestens einem Viertel der Patienten mit ausschließlichen PNEA zeigen ließ.
Letztlich beruht die Diagnose von PNEA auf einer Kombination anamnestischer und iktualer Beobachtungen sowie der fehlenden Erklärbarkeit der Anfallszustände durch epileptische Aktivität oder
andere organische Ursachen. Dabei wird eine eindeutige Diagnose bei etwa einem Drittel der Patienten durch das zusätzliche Bestehen einer Epilepsie erschwert – und der Nachweis eines PNEA mit
Video-EEG bedeutet nie, dass nicht auch zusätzlich epileptische Anfälle vorliegen oder zuvor manifest gewesen waren.
Die Inzidenz von PNEA in der Bevölkerung beträgt ungefähr 3 pro 100 000/Jahr, die Prävalenz wird mit 2 bis 33 pro 100 000 oder 4 Prozent der Prävalenz epileptischer Anfälle angegeben. Allerdings kommen PNEA in bestimmten klinischen Situationen häufiger vor. So haben etwa 20 Prozent der für eine epilepsiechirurgische Evaluation überwiesenen und bis zu 50 Prozent der Patienten mit refraktärem Anfallsstatus PNEA und keine Epilepsie. Zu einem PNEA-Status kommt es bei etwa einem Drittel aller Patienten, und in etwa drei Viertel aller Fälle tritt ein PNEA-Status wiederholt auf.
Mehr als ein Viertel der Patienten mit PNEA wird mindestens einmal wegen eines vermeintlichen Status epilepticus intensivmedizinisch behandelt. Das Manifestationsalter von PNEA liegt zumeist
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, allerdings wurde die Erstmanifestation von PNEA sowohl bei vierjährigen Kindern als auch bei über 70-jährigen Menschen beschrieben. Drei Viertel aller
Patienten sind Frauen.
Häufig können PNEA durch Suggestion provoziert und durch iktuale Zusprache beendet werden. Trotzdem wird davon ausgegangen, dass PNEA zumeist unwillkürlicher äußerer Ausdruck einer seelischen
Störung sind und es sich nur in seltenen Fällen um willkürlich simulierte oder artifizielle Zustände handelt.
Manche Autoren zählen PNEA zu den dissoziativen Erkrankungen, andere sehen PNEA fast ausschließlich als eine somatoforme oder eine Konversionsstörung an. Entsprechend werden PNEA in der ICD-10
unter den dissoziativen und im Diagnostic Statistical Manual IV (DSM IV) unter den somatoformen Störungen eingereiht. Allerdings ist sowohl bei PNEA wie auch bei anderen psychiatrischen Störungen
bekannt, dass bei einem Patienten sowohl Dissoziations- als auch Somatisierungsneigungen vorliegen, und es bleibt unklar, welche Pathomechanismen dissoziativen und Somatisierungsstörungen
zugrunde liegen. Angesichts dieser Unsicherheit kann die Ätiologie derzeit nur in gröberen Kategorien diskutiert werden, wobei prädisponierende, präzipitierende und perpetuierende Faktoren
interagieren.
Bei vielen Patienten mit PNEA liegen psychiatrische Störungen vor, die im System des DSM IV auf der Achse I angesiedelt wären. Besonders häufig werden andere somatoforme, sonstige dissoziative,
affektive, posttraumatische oder Angststörungen beschrieben. Zusätzlich ergeben sich bei der Mehrzahl der Patienten Hinweise auf Störungen der Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere für die
Borderline-Persönlichkeitsstörung. Oft bestehen hirnorganischen Störungen, vor allem Epilepsie und Lernbehinderung. Gelegentlich treten PNEA nach epilepsiechirurgischen oder anderen
neurochirurgischen Eingriffen auf, vor allem wenn es nach dem Eingriff zu Komplikationen und prolongiertem Krankenhausaufenthalt kam. Häufig gibt es Hinweise auf soziale oder intrafamiliäre
Konfliktsituationen. Anamnestisch wird oft von sexuellem und körperlichem Missbrauch berichten.
PNEA ist also ebenso wenig eine Diagnose wie Epilepsie. Eine komplette diagnostische Formulierung sollte alle genannten Punkte berücksichtigen.
Zu Beginn der Therapie bedarf es der möglichst klaren Vermittlung der Diagnose von PNEA an den Patienten und die mitbehandelnden Ärzte. Dabei kann das Vorführen der Videoaufnahme eines typischen
Anfalls nach Ansicht der Autoren helfen. Bei Patienten mit Epilepsie gibt es Belege dafür, dass die Konfrontation mit den eigenen Anfällen Patienten nicht schadet, bei Patienten mit PNEA wurde
dieser Punkt bislang nicht untersucht. Vermittelt werden sollte auch die Einschätzung, ob der Patient ausschließlich an PNEA leidet oder ob zusätzlich epileptische Anfälle auftreten. Das
zeitliche Miteinander oder die zeitlich folgende Manifestation solcher Anfälle bei einem Patienten ist keine Seltenheit.
Hinsichtlich der weiteren Behandlung gibt es nur kleine beziehungsweise nicht kontrollierte Studien, die sich mit PNEA befassen. Hinweise auf praktikable Therapieansätze müssen von verwandten
Krankheitsbildern entliehen werden. Studien werden dadurch kompliziert, dass PNEA kein einheitliches psychopathologisches Syndrom sind. Die Behandlung muss jeweils auf den einzelnen Patienten
abgestimmt werden. Zunächst ist zu klären, ob aktuelle Konfliktsituationen vorliegen oder ob Patienten die Kriterien für eine Achse-I-Diagnose (nach DSM IV) erfüllen, insbesondere für Depression,
Angststörungen oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Obwohl solche Störungen bei vielen Patienten vorkommen, können bei den meisten Patienten mit chronischen PNEA ein maladaptives
Persönlichkeitsprofil, Somatisierungs- oder Dissoziationsneigungen diagnostiziert werden. Manche der mit diesen Erkrankungen verbundenen Symptome können auf eine kurzfristige psychotherapeutische
oder medikamentöse Behandlung ansprechen. Andere der erwähnten Störungsbilder lassen sich durch therapeutische Intervention eher modifizieren als heilen.
Obwohl sicherlich auch andere psychotherapeutische Behandlungsformen zum Erfolg führen können, ist die Effektivität einer psychotherapeutischen Intervention am besten für einen kognitiv
verhaltenstherapeutischer Ansatz belegt. Zum einen kann die psychotherapeutische Intervention auf die Modulation von extremen Gefühlsschwankungen, das frühe Erkennen von Vorboten einer Krise und
das Durchbrechen sekundärer Verstärkungs- und Eskalationsprozesse abzielen. Zum anderen kann man sich auf die Identifikation von Stressoren und einen alternativen Umgang mit Problemen im sozialen
Umfeld konzentrieren, mit denen vulnerable Aspekte der Persönlichkeit interagieren.
Es ist günstig, diese beiden Ansätze zu kombinieren. Für Patienten bei denen PNEA nur ein Teil einer chronischen Somatisierungsstörung darstellt, ist ein dem „case management“ entsprechender
Ansatz eher angebracht. Dabei werden Patienten an einen Arzt gebunden, der kein Psychiater sein muss. Dieser Arzt sieht den Patienten regelmäßig und bespricht somatische und seelische
Beschwerden. Mittelfristig soll dieser häufige Kontakt die Zahl von Untersuchungen, Überweisungen und Notaufnahmen vermindern und die sekundäre Verstärkung der Somatisierungsprozesse
unterbrechen. Längerfristig wird erhofft, dass Patienten allmählich Verbindungen zwischen somatischem und seelischem Leiden wahrnehmen.
Zusätzlich kann eine pharmakologische Behandlung erwogen werden. Jedenfalls wurde in anderen Patientengruppen gezeigt, dass selektive Hemmer der Serontoninwiederaufnahme die Behandlung
emotionaler Dysregulation, die sich oft bei PNEA-Patienten darstellt, positiv beeinflussen können.
Insgesamt gibt es Hinweise darauf, dass die Behandlung am ehesten erfolgreich ist, wenn sie in enger Zusammenarbeit mit Epilepsiespezialisten durchgeführt wird, um Irritationen in der
diagnostischen Zuordnung zu vermeiden oder zusätzliche epileptische Anfälle mitzubehandeln.
Patienten, bei denen psychogene nichtepileptische Anfälle an einem Epilepsiezentrum diagnostiziert werden, haben im Allgemeinen eine schlechte Behandlungs- und soziale Prognose. In einer
Untersuchung in Deutschland wurde dokumentiert, dass im Mittel mehr als elf Jahre nach der Manifestation von PNEA und mehr als vier Jahre nach der Diagnose psychogener Anfälle, zwei Drittel der
Patienten noch an Anfällen litten und mehr als die Hälfte auf staatliche Unterstützung angewiesen waren. Das heißt, dass die Prognose dieser Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose schlechter war,
als diejenige von Patienten mit neu diagnostizierter Epilepsie.
Dagegen war die Prognose mit derjenigen bei anderen somatoformen Störungen oder der von PNEA-Patienten in anderen Ländern vergleichbar. Enttäuschend war auch, dass 41 Prozent der Patienten ohne
Hinweis auf eine zusätzlich vorliegende Epilepsie im Mittel vier Jahre nach der Diagnose von ausschließlichen PNEA an einem Epilepsiezentrum wieder oder immer noch Antikonvulsiva einnahmen.
Allerdings gibt es hinsichtlich der Prognose große Unterschiede zwischen verschiedenen Untergruppen von Patienten mit PNEA. Mehrere Studien haben belegt, dass PNEA einen günstigeren Verlauf
zeigen, wenn sie früher diagnostiziert und behandelt werden. Auch ist die Prognose bei Kindern und jüngeren Erwachsenen besser. Das gleiche gilt für Patienten mit höherem Intelligenzquotienten,
besserer Schulbildung oder höherer gesellschaftlicher Position. Auch zeigt sich, dass das Ergebnis bei weniger dramatischen psychogenen nichtepileptischen Anfällen besser ist (keine
tonisch-klonisch-artigen Anfälle, kein iktualer Harnabgang oder Zungenbiss, kein PNEA-Status in der Anamnese).
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen einer ungünstiger Prognose und einer maladaptiven Persönlichkeit (46). Das zusätzliche Vorliegen einer Epilepsie scheint den Verlauf nicht entschieden zu beeinflussen (46, 59).
Obwohl die Prävalenz von Patienten mit psychogenen nichtepileptischen Anfällen nur etwa 4 Prozent der Prävalenz Epilepsiekranker entspricht, suchen PNEA-Patienten häufig Kontakt mit Ärzten und bemühen den medizinischen Notdienst. Wenn die korrekte Diagnose in einer solchen Situation nicht erkannt wird, werden PNEA als epileptischer Notfall behandelt. Da eine antikonvulsive Medikation keine therapeutische Wirkung auf PNEA hat, kann es zum Einsatz hoher Antikonvulsivadosierungen oder sogar einer Behandlung mit Vollnarkose kommen. Eine solche Intervention setzt Patienten nicht nur einem hohen Risiko für iatrogene Schäden aus, sondern führt auch zur sekundären Verstärkung häufig ätiologisch relevanter Somatisierungsprozesse.
Trotz der Tatsache, dass es keine einzelne Beobachtung beziehungsweise kein einzelnes klinisches Zeichen gibt, welches belegt, dass es sich bei einem Anfall um einen PNEA und keinen epileptischen
Anfall handelt, ist die Diagnose von PNEA zumeist nicht schwer, wenn man bei der Behandlung von Anfallspatienten stets berücksichtigt, dass Epilepsie nicht die einzige mögliche Erklärung für
anfallsartige Ereignisse ist. Die differenzialdiagnostische Entscheidung ist besonders einfach, wenn der Patient direkt während eines Anfalls beobachtet und untersucht werden kann.
Besteht keine Gelegenheit zur Beobachtung eines Anfalls, ist die weitere Anamnese häufig genauso hilfreich und wichtig wie die Beschreibung der Zustände durch Patienten und Zeugen.
Insbesonde-
re die Anamnese von Notaufnahmen mit rezidivierendem Anfallsstatus, die Angabe anderer schwer erklärbarer körperlicher Symptome und psychiatrischer Krankheiten oder psychiatrischer Behandlungen
wie auch das fehlende Ansprechen von Anfällen auf eine antikonvulsive Therapie sind Hinweise auf die Diagnose von PNEA.
Bei klinischem PNEA-Verdacht oder klinisch begründeten Zweifeln an der Diagnose einer Epilepsie sollte möglichst rasch eine weitere Untersuchung durch einen epileptologisch versierten Arzt sowie
eine Aufzeichnung typischer Anfälle mit Video und EEG erfolgen. Die schnellere Sicherung der Diagnose wird hoffentlich dazu beitragen, dass sich die gegenwärtig noch ungünstige Prognose in der
Behandlung von Menschen mit PNEA zukünftig bessert.